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                "Der Nationalsozialismus
                    lebt nach und bis heute wissen  wir nicht, ob bloß als
                    Gespenst dessen, was so ungeheuerlich war, daß es am
                    eigenen Tode noch nicht starb, oder ob es gar nicht erst
                    zu Tode kam; ob die Bereitschaft zum Unsäglichen fortwest
                    in den Menschen wie in den Verhältnissen, die sie umklammern." (Theodor
              W. Adorno) 
               
              Denkanstoß  
                 
                Presseerklärung der Liste Solidarität
                  am 7.5.2005                  
                 
                Am 8. Mai jährt sich zum sechzigsten Male das Ende des 2. Weltkrieges in
  Europa. Dies ist aus gutem Grund Anlass zum Innehalten, Nachdenken und Erinnern.
  Die letzten Tage vor Kriegsende werden heraufbeschworen und aktuelle wie vergangene
  Historikerdebatten wieder ins Gedächtnis gerufen. Die Auseinandersetzung
  mit der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland wird jedoch allzu oft unter
  dem Blickwinkel geführt, dass es sich bei diesen 12 Jahren gewissermaßen
  um einen "Betriebsunfall" in der deutschen Geschichte handele, einer Geschichte,
  die ansonsten vor allem positiv zu bewerten sei. Dieser Blick negiert, dass der
  Nationalsozialismus nicht vom Himmel fiel. So wie maßgebliche Unternehmer,
  wie z.B. Flick, Krupp und Thyssen aber auch Wilhelm von Opel den Aufstieg der
  Nationalsozialisten und des nationalsozialistischen Deutschlands aus Eigeninteresse
  aktiv unterstützten, so konnten die NS-Ideologieproduzenten auch auf massenhaft
  verbreitete rassistische, völkische und kriegsverherrlichende Literatur
  zurückgreifen.  
   
  Zum Beispiel: Walter Flex  
   
  Vor einigen Wochen erhielten wir durch Zufall das Büchlein "Der Wanderer
  zwischen beiden Welten - Ein Kriegserlebnis von Walter Flex". Der Autor, nach
  dem in Rüsselsheim immer noch eine ziemlich große Straße benannt
  ist, ist vor allem durch das Lied "Wildgänse rauschen durch die Nacht" bekannt,
  das ebenso wie die Walter Flex Straße das Jahr 1945 überdauerte. Es
  fand unter anderem Aufnahme in das Liederbuch "Die Mundorgel" und wurde von vielen
  Jugendlichen ohne Sachkenntnis dafür aber mit um so mehr Begeisterung
  gesungen. Das Lied endet mit der Strophe:  
   
"Wir sind wie ihr ein graues Heer  
Und fahr´n in Kaisers Namen,  
Und fahr´n wir ohne Wiederkehr,  
Rauscht uns im Herbst ein Amen!"  
   
  Es findet sich am Anfang des "Wanderer zwischen den Welten" und der/die LeserIn
  erfährt, dass es im Dauerfeuer vor Verdun entstand. Dass das Lied keineswegs
  als Anregung zum kritischen Nachdenken über den Unsinn des Krieges interpretiert
  werden kann, verdeutlicht die Lektüre der Kriegserlebnisse von Walter Flex.
  In den Gräben des Stellungskrieges vor Verdun, sieht Flex die vielleicht "beste
  Schule", ohne die "wohl niemand ein rechter Führer" (S. 10) werden könne.
  Hier sehnt er sich nach dem Bewegungskrieg in Russland. "Im Osten geschah alles
  Heiße, Wilde und Große. Über Rußland stand immerfort eine
  brandrote Wolke, ... Im Osten schritten unsere Sturmkolonnen über Täler
  und Höhen, und wir lagen wie Maulwürfe unter der Erde und riefen das
  Hurra zu ihren Siegen" (S.28) Gegenüber den russischen Opfern des Krieges
  fordert Flex Gleichgültigkeit. "Allabendlich flammten und schwelten Dörfer
  und Scheunen am Horizonte als Brandfackeln, die dem rückflutenden Russenheere
  meldeten, wie weit die deutschen Heeressäulen vorgedrungen waren. Verstörte
  Einwohner huschten mit Kindern, Bündeln und Packen schattenhaft auf unseren
  Wegen um zerschossene Wohnstätten und zertretene Gärten. ... Gleichgültig
  und mit müden Augen sahen wir all die schattenhaften Bilder, die wie Sonnenaufgang
  und Untergang sich täglich und stündlich wiederholten, ..." (S.80/81)  
   
  Führerkult und Heldentod  
   
  In unerträglicher Weise verklärt Walter Flex "Führertum" und "Heldentod". "Wir
  sprachen über die Toten ... . Ich redete von diesem und jenem, den ich in
  seinem ersten Gefechte fallen sah, nachdem ein frischer und herzlicher Führerwille
  durch lange Monate unermüdlich an ihm gearbeitet hatte. Ein Sprung und Sturz
  - tot! Und für diesen einen Sprung so viel Mühe und Liebe - ´Nicht
  für diesen einen Sprung´, unterbrach mich der Freund, ´sondern
  dafür, daß er ihn mit hellen und beherzten Augen, mit Menschenaugen
  tat!´" (S.69/70) Walter Flex geht aber noch einen großen Schritt
  weiter. Er verklärt nicht nur den Tod des einzelnen Soldaten, in dem er
  lediglich das willige Werkzeug der Offiziere (Führer!) sieht, er fordert
  die Bereitschaft des ganzen deutschen Volkes , den "Heldentod" zu sterben und
  nimmt Hitlers letzte Forderung "Die Feinde sollen ein schlafendes Deutschland
  finden" geradezu vorweg. "Der Gedanke an den Heldentod eines Volkes ist nicht
  schrecklicher als der an den Schwerttod eines Menschen. Nur das Sterben ist häßlich
  bei Menschen und bei Völkern. Aber wenn ein Mann den tödlichen Schuß,
  der ihm das Eingeweide zerreißt, empfangen hat, dann soll keiner mehr nach
  ihm hinsehen. Denn was dann kommt ist häßlich und gehört nicht
  mehr zu ihm. Das Große und Schöne, das heldische Leben ist vorrüber.
  So muß es auch sein, wenn ein Volk in Ehren und in Größe seinen
  Todesstreich empfangen hat, - was danach kommt, darf niemand mehr seinem Leben
  zurechnen, es ist kein Teil davon...." (S. 35/36) Nach diesem Tod kann nur ein
  Dasein kommen, das sich dahinschleppt "wie der Ewige Jude, der nicht sterben
  kann, dienstbar allen neu aufgeschossenen Völkern..." (S.33)  
   
  Walter Flex lieferte mehr als  manch andere rassistisch-völkisch-nationalistisch
  ausgerichtete Schriftsteller des Kaiserreiches die ideologischen Bausteine, die
  der Nationalsozialismus zu einer Ideologie zusammenführte. Und wenn der "Völkische
  Beobachter" bei Walter Flex "reines Fühlen und hohes Wollen" lobt, dann
  wird Walter Flex und sein Werk keineswegs missbraucht. Auch wenn Walter Flex
  bereits 1917 starb, so müssen seine Schriften als Teil der Vorgeschichte
  des Nationalsozialismus angesehen werden. Die Nazis brachten eben genau sein
  Fühlen und Wollen, seine falschen Ideale, auf den Punkt und die massenhafte
  Verbreitung und Lektüre der Schriften von Walter Flex in der Zwischenkriegszeit
  half mit, vor allem im deutschen Bürgertum die geistige Haltung zu schaffen,
  die mit Beginn der dreißiger Jahre in Deutschland zur materiellen Gewalt
  werden sollte. Der Kult, den die Nazis um den Schriftsteller Walter Flex und
  um sein Werk trieben entsprach also dem Inhalt dieses Werkes voll und ganz. Es
  waren die rassistischen, antisemitischen, Krieg und Führerkult verherrlichenden
  Inhalte im Zentrum von Flex´ literarischem Schaffen, die die Rüsselsheimer
  Nationalsozialisten ehrten, als sie 1934 eine Straße nach ihm benannten.  
   
  Heute, in einem demokratischen und dem Frieden verpflichteten Gemeinwesen ist
  die Existenz einer "Walter Flex Straße" ein Anachronismus. Wenn wir den
  Schwur der Überlebenden von Buchenwald ernst nehmen und die "Vernichtung
  des Nazismus mit seinen Wurzeln" anstreben, dann kann es keinen positiven Bezug
  auf Schriftsteller wie Walter Flex geben. Menschen, nach denen Straßen
  benannt werden, müssen sich zumindest durch demokratische, humane und friedensbejahende
  Grundwerte auszeichnen. Bei Walter Flex ist dies eindeutig nicht der Fall, und
  die Benennung einer Straße nach ihm konnte offensichtlich nur aufgrund
  seines frühen Todes Bestand haben. Sechzig Jahre nach Kriegsende sollten
  wir dieses Versäumnis schnellstens korrigieren.  Namen für
  die Walter Flex Straße könnten sein: Friedensstraße, Bertha
  von Suttner Straße oder Liselotte Gorenflo Straße.  
                
               
               
                
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