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               Rede des Stadtverordneten Bernd 
              Heyl  
              zum Haushalt 2006  
            Meine sehr geehrten Damen und Herren, 
            in seiner Einbringungsrede kündigte Oberbürgermeister Gieltowski 
            einen wenig spektakulären Haushalt an. Und in der Tat sind die 
            Rahmendaten wenig spektakulär: Erneut konnte das Haushaltsdefizit 
            gesenkt werden. Betrug der jahresbezogene Fehlbedarf 2005 noch 25,1 
            Millionen Euro, so sollen es 2006 nur noch 24,5 Millionen Euro 
            werden. Insgesamt wird aber der Schuldenstand der Stadt von 123,3 
            Millionen Euro auf 131,1 Millionen Euro steigen. Wenig spektakulär 
            sind auch die Konsequenzen, die aus diesen Zahlen gezogen werden:
             
            .  Die bisherigen Konsolidierungsbemühungen seien 
            zum erheblichen Teil durch externe Faktoren aufgezehrt worden,  
            .  die Stadt dürfe in ihren 
            Konsolidierungsbemühungen nicht nachlassen,  
            .  gleichzeitig soll aber mit der Senkung der 
            Kitagebühren ein sozial- und bildungspolitischer Akzent gesetzt 
            werden. 
            Es wäre also wenig spektakulär geworden, wenn, ja 
            wenn nicht durch die überfallartige Einbringung des Teilverkaufs der 
            Rüsselsheimer Stadtwerke an Suez/Eurawasser mit einem Schlag 
            grundsätzliche Fragen zu Möglichkeiten und Gestaltung der 
            Haushaltskonsolidierung aufgeworfen worden wären. Mehr als bei allen 
            anderen Haushaltsdebatten der vergangenen Jahre rückt so in diesem 
            Jahr die Frage nach der gesamtgesellschaftlichen Funktion der 
            "öffentlichen Armut" d.h. der bewusst herbeigeführten 
            Unterfinanzierung unseres Gemeinwesens in den Mittelpunkt. Der Chef 
            von Hoch-Tief, Hans Peter Keitel, sprach nicht ohne Grund vom 
            "Charme der Staatsverschuldung".  
            Armut und Reichtum sind in Deutschland seit langem 
            wieder ein Thema. Die Armutsquote hat sich in Deutschland seit 1973 
            fast vervierfacht, daran hat bekanntermaßen auch die jetzt 
            abgewählte rotgrüne Bundesregierung nichts geändert. Nach einem 
            kurzen Rückgang im Jahr 2000 - den man auch als Lafontaineeffekt 
            bezeichnen kann - stieg die Armutsquote ab 2001 wieder an. Dabei 
            stehen dem Absinken der Einkommen der unteren Bevölkerungsschichten 
            stark steigende Einkommen der oberen Bevölkerungsschichten 
            gegenüber. Noch dramatischer ist die Zunahme an 
            Verteilungsungerechtigkeit bei den Vermögen. Während das untere 
            Fünftel der deutschen Bevölkerung praktisch über kein Vermögen 
            verfügt, kann davon ausgegangen werden, dass bei den einkommen- und 
            vermögensstärksten 20% aller Haushalte nach vorsichtiger Schätzung 
            mehr als 4. Billionen Euro auf der Habenseite zu verbuchen sind. 
            Dem Vermögensreichtum steht nicht nur die zunehmende 
            private, sondern auch die zunehmende öffentliche Armut gegenüber. 
            Weil aber dem öffentlichen Schuldenberg von knapp 1,5 Billionen Euro 
            Privatvermögen in Höhe von insgesamt mindestens 8 Billionen Euro 
            gegenüberstehen, ist das Argument, dass wir unseren Enkeln einen 
            Berg von Schulden vererben, ziemlich einseitig, denn schließlich 
            werden ja auch die privaten Ansprüche vererbt. 
            Das Argument, dass wir unseren Kindern einen 
            finanziellen Schuldenberg hinterlassen, lässt außerdem völlig 
            unbeachtet, was Sozialabbau sowie fehlende Bildungs- und 
            Sozialinvestitionen an Schäden anrichten und an Folgekosten 
            verursachen. Wenn heute 20% der deutschen Schüler/innen im 
            internationalen Maßstab eine Risikogruppe darstellen, weil sie weder 
            den allgemeinen Anforderungen einer modernen demokratischen 
            Gesellschaft gewachsen sind, noch Chancen auf ökonomische Teilhabe 
            haben, dann hinterlassen wir der nachfolgenden Generation eine 
            Hypothek, die mehr wiegt als Geldschulden. Der Verlust an Human- und 
            Sozialkapital und die Zerstörungen in der Ökonomie des ganzen Hauses 
            haben wesentlich dramatischere Folgen als Geldschulden und sie 
            schlagen bereits heute auf uns zurück: Die von der Stadt Rüsselsheim 
            zu tragenden ständig steigenden Kosten für Heimunterbringung sind 
            nur ein Beispiel dafür. 
            Weil private und öffentliche Armut in Deutschland 
            die Kehrseite des privaten Reichtums sind, brauchen wir dringend 
            eine grundsätzliche und offensiv geführte Diskussion über die 
            Verteilungsgerechtigkeit im Land und darüber, welche Aufgaben 
            sinnvoller Weise privat und welche gesellschaftlich organisiert 
            werden sollen. Wir brauchen eine Diskussion darüber, welche 
            finanziellen Mittel Kommunen, Länder und der Bund für diese 
            Gemeinschaftsaufgaben benötigen, eine Diskussion, die sich an den 
            Bedürfnissen der Menschen orientiert und nicht an den 
            steuerpolitischen Vorstellungen der Wirtschaft und der Reichen. Es 
            kann nicht weiter darum gehen, noch mehr öffentliches Eigentum in 
            Privateigentum zu verwandeln, es muss vielmehr genau überlegt werden 
            welche soziale, medizinische und technische Infrastruktur 
            öffentlich, weitgehend kostenfrei und damit sozial gerecht und für 
            alle Bürger zur Verfügung gestellt werden muss. Privatunternehmen 
            können dies nicht leisten. 
            Auch wenn CDU, Grüne und SPD es nicht wahr haben 
            wollen: Die Geschichte der bisherigen Privatisierungen öffentlicher 
            Betriebe ist alles andere als eine Erfolgsgeschichte. Die seichten 
            Programme der Privatsender haben Dank des Wettbewerbs um 
            Einschaltquoten längst das öffentlich rechtliche Fernsehen erreicht, 
            die Bahn erhöht gerade wieder einmal die Preise, die Zahl der 
            Briefkästen und Postfilialen wird immer weiter ausgedünnt und 
            niemand kann sagen, dass die Patienten in unseren Krankenhäusern 
            humaner und besser behandelt würden. Die Arbeitsbedingungen der 
            Beschäftigten in den privatisierten öffentlichen Betrieben 
            verschlechtern sich massiv und auch die Tatsache, dass die 
            privatisierte RWE an der Sicherstellung der Stromversorgung im 
            Münsterland kläglich gescheitert ist, setzt neue Akzente in der 
            Privatisierungsdebatte. Herr Schmidt, wann wird die CDU begreifen, 
            dass es 15 Jahre nach dem wie ich meine verdienten Ende der DDR 
            nicht mehr um die Schwächen des Sozialismus geht? Zunehmende soziale 
            Ungleichheit, die Unfähigkeit Arbeits- und Ausbildungsplätze zu 
            schaffen, das verweist heute auf die Schwächen einer 
            kapitalistischen Marktwirtschaft, die alle ihre sozialen und 
            gesellschaftlichen Bindungen abwirft und nur noch ein einziges Ziel 
            kennt: Den größtmöglichen Profit um jeden Preis. 
            Für uns stellt sich da die Frage, wie soll sich die 
            Rüsselsheimer Politik in dieser Situation verorten. Betonen wir, wie 
            es OB Gieltowski getan hat und wie es andere, z.B. Herr Kraft von 
            der SPD immer wieder tun, unseren entschlossenen Willen den 
            "Wirtschaftsstandort" Rüsselsheim zu sichern, zur Not auch auf 
            Kosten unserer Nachbargemeinden, auf Kosten der Arbeitsplätze beim 
            Bauschheimer real zum Beispiel? Finden wir es gut, wenn "Opel wieder 
            angreift" und bedienen wir uns auch noch der zunehmend 
            militarisierten Sprache des global entfesselten Marktes? Erheben wir 
            wirklich den Gedanken von Konkurrenz- und Wettbewerbsfähigkeit zur 
            absoluten politischen Leitkategorie? Wenn wir das tun und wenn 
            Konkurrenz und Wettbewerb unser Denken und Handeln dominieren, dann 
            lösen sich Solidarität und gesellschaftlicher Zusammenhang auf. Als 
            politisch verantwortliche, als soziales Gemeinwesen sind wir aber 
            auch aus ökologischen Gründen gefordert die Verbundenheit der Region 
            zu fördern und nicht primär von den betriebswirtschaftlichen 
            Eigeninteressen Rüsselsheims auszugehen. 
            Zugespitzt stellen sich diese Fragen jedes Jahr in 
            der Haushaltsdebatte neu. Wie die Telekom, wie Siemens oder andere 
            Global Player misst der Magistrat seinen Erfolg daran, wie viele 
            Arbeitsplätze er abgebaut hat, in welchem Ausmaß es gelungen ist, 
            Arbeitskosten durch Outsourcing, d.h durch Verlagerung von 
            Tätigkeiten in niedrigere Tarifbereiche, die Vergabe öffentlicher 
            Aufträge an Dritte zu senken oder wo es gelungen ist, die Arbeit der 
            noch Beschäftigten weiter zu verdichten. Wie alle, die 
            ausschließlich betriebswirtschaftlich denken, dreht damit auch die 
            Stadt Rüsselsheim an der Schraube, die die Einkommen von mehr als 
            der Hälfte der deutschen Bevölkerung ständig sinken und die 
            Arbeitslosigkeit steigen lässt. Die Stadt leistet damit ihren 
            Beitrag zur allgegenwärtigen Misere und nicht zuletzt auch zur 
            eigenen Einkommensproblematik. 
            Die Rüsselsheimer Linke, die Liste Solidarität steht 
            für eine andere Politik und auch für eine andere 
            Haushaltsphilosophie. Wir lehnen es ab, die Stadtverwaltung auf das 
            "Kerngeschäft" zu reduzieren und immer mehr Bereiche der 
            Daseinsvorsorge out zu sourcen oder ganz abzuschaffen. Wir wollen, 
            dass Betriebe, die der Daseinsvorsorge der Bürgerinnen und Bürger 
            dienen, zu 100% städtische, d.h. öffentliche Betriebe bleiben, wir 
            wollen weder die Teilprivatisierung der Stadtwerke noch die 
            Privatisierung des Lache Bades, noch einen Verkauf von Anteilen des 
            Stadtkrankenhauses. Wir wollen eine intakte Beratungsinfrastruktur 
            und wir wollen Kindertagesstätten die möglichst kostenlos sind.  
            Wir stehen für einen öffentlichen Sektor, der mehr 
            und nicht weniger Arbeitsplätze zur Verfügung stellt und der 
            selbstbewusst die Heranziehung derer zu seiner Finanzierung fordert, 
            die sich in den letzten 20 Jahren immer mehr aus ihrer finanziellen 
            Verantwortung für das Gemeinwesen verabschiedet habe. Es ist doch 
            ein völliger Widersinn wenn Rüsselsheim, die Stadt mit der 
            zweitgrößten Wertschöpfung in Hessen, Schulden machen muss, um ihre 
            öffentlichen Aufgaben zu finanzieren. Für uns hat der Antrag, den 
            Hebesatz der Gewerbesteuer wieder auf 400 Punkte anzuheben, daher 
            eine zweifache Bedeutung: Zum einen lehnen wir es ab, durch eine 
            niedrige Gewerbesteuer mit den Nachbargemeinden in Konkurrenz zu 
            treten und zum anderen würde so von Seiten der Stadt ein wenig mehr 
            Steuergerechtigkeit hergestellt. Den Stadthaushalt kann diese 
            Maßnahme allein heute so wenig sanieren wie die Teilprivatisierung 
            der Stadtwerke, die auf längere Sicht ja sogar zur weiteren 
            Verarmung der Stadt beiträgt. 
            Meine sehr geehrten Damen und Herren,  
            die Finanzierung unserer Kommunen bedarf einer 
            grundsätzlichen Neustrukturierung. Unter den gegebenen Verhältnissen 
            kann Rüsselsheim, wenn es eine soziale Stadt sein und bleiben will, 
            seinen Haushalt nicht aus eigener Kraft konsolidieren. Ein 
            grundsätzliche Gemeindefinanzreform kommt aber nicht von allein. Wir 
            erreichen sie nur durch den politischen Druck von unten und durch 
            eine neue vor allem an den sozialen, ökologischen und 
            Bildungsinteressen des Gemeinwesens orientierte 
            Haushaltsphilosophie. Durch den geplanten Teilverkauf der Stadtwerke 
            macht der Magistrat deutlich, dass er sich immer mehr von einem 
            solchen Ansatz entfernt, dass er jetzt sogar entschlossen ist, der 
            Umgründung von städtischen Unternehmen, deren Verkauf folgen zu 
            lassen. Wie in den vergangenen Jahren können wir deshalb auch in 
            diesem Jahr dem Haushalt nicht zustimmen.  
            Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 
             
            
             
  
               
                 
               
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